Health Care & Krankenhaus & Vergaberecht
Mit unseren Rundschreiben informieren wir die Geschäftsführungs- und Leitungsebene von Krankenhäusern über aus unserer Sicht wichtige rechtliche Entwicklungen im Krankenhaussektor.
Zum Anwendungsbereich der GOÄ bei Abschluss eines ambulanten Behandlungsvertrages mit einer juristischen Person: Geltung des zwingenden Preisrechts.
Der Anwendungsbereich der GOÄ setzt nicht voraus, dass der Vertragspartner ein Arzt ist. Maßgebend für die Anwendung der GOÄ ist, dass die Vergütung für die beruflichen Leistungen eines Arztes geltend gemacht wird. Demnach kann die GOÄ auch dann zur Anwendung kommen, wenn der Behandlungsvertrag mit einer juristischen Person, etwa einem Krankenhausträger oder einem MVZ, abgeschlossen worden ist. Dabei kann die ambulante Leistung durch Ärzte erbracht werden, die in einem Angestellten- oder Beamtenverhältnis stehen und selbst mit dem Patienten keine Vertragsbeziehung eingegangen sind.
BGH, Urteil v. 04.04.2024 – AZ III ZR 38/23
Sachverhalt:
In dem zugrunde liegenden Sachverhalt befand sich der gesetzlich krankenversicherte Kläger zur Behandlung eines Prostatakarzinoms in ärztlicher Behandlung in dem beklagten Universitätsklinikum. Die Parteien vereinbarten die Anwendung des sog. Cyberknife-Verfahrens, welches vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen nicht umfasst ist. Über eine Ermächtigung nach § 116 SGB V das Verfahren im Rahmen einer ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung anzuwenden, verfügte die Beklagte nicht. Die Krankenkasse lehnte den Antrag der Beklagten auf Kostenübernahme ab, worüber die Beklagte den Kläger informierte. Sie informierte auch darüber, dass der Patient für die Kosten der Behandlung als Selbstzahler aufkommen müsse, wenn er die Behandlung dennoch wünsche. Der Kläger entschied sich für die Vornahme der Cyberknife-Methode. In der Folge stellte die Beklagte dem Kläger den zuvor vereinbarten Pauschalbetrag in Höhe von 10.633 € in Rechnung. Der Kläger beglich die Summe vollständig. Die daraufhin eingereichte Rückzahlungsklage des Patienten war in der ersten Instanz und in der Berufungsinstanz erfolgreich. Mit seinem Urteil vom 04.04.2024 wies sodann auch der BGH die Revision der Klinik zurück.
Entscheidung des BGH:
Der BGH begründete die Entscheidung damit, dass die zwischen den Parteien getroffene Pauschalvereinbarung den in § 2 Abs. 1, Abs. 2 GOÄ verankerten Grundsätzen widerspreche. Nach dieser Vorschrift kann die Behandlungsseite mit dem Patienten nicht bereits vor Beginn der Behandlung eine feststehende Vergütung vereinbaren. Nach dem BGH gelte dies auch dann, wenn der Patient die Pauschalvereinbarung mit einer juristischen Person treffe. Im Vordergrund stehe insofern die Wahrung des Interessenausgleiches zwischen dem Leistungserbringer und demjenigen, der zur Vergütung verpflichtet sei. Dieser Interessenausgleich sei zwangsläufig immer dann zu achten, wenn berufliche Leistungen von Ärzten abgerechnet werden, unabhängig des eigentlichen Vertragspartners. Folglich gelte das zwingende Preisrecht der GOÄ auch, wenn der behandelnde Arzt in einem Anstellungs- oder Beamtenverhältnis in Erfüllung der Dienstaufgaben tätig wird. Darüber hinaus führte der BGH auch aus, dass der Behandelnde jedoch nicht dazu angehalten ist, vor Beginn der Behandlung darauf hinzuweisen, dass andere gesetzliche Krankenkassen die Kosten des gewählten Verfahrens übernähmen. Die Pflicht der Behandlungsseite zur wirtschaftlichen Information ist nicht allumfassend. Der Behandelnde ist insofern allein dazu gehalten, den Patienten über die Kosten der Behandlung in Textform zu informieren, wenn er weiß, dass die Kostenübernahme durch einen Dritten nicht erfolgt oder hierzu hinreichende Anhaltspunkte vorliegen. Von dem Urteil nicht erfasst werden stationäre Leistungen, da sie nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankhausentgeltgesetz oder der Bundespflegesatzverordnung vergütet werden (siehe Rz. 23 des Urteils). Dies ist schon deshalb konsequent, weil bei der stationären Behandlung nicht nur ärztliche Leistungen, sondern insbesondere auch Unterkunft und Verpflegung sowie Pflegeleistungen erbracht werden. Auch nicht umfasst werden kooperative Leistungen von Krankenhäusern untereinander sowie zwischen Krankenhäusern und Vertragsärzten (siehe Rz. 27 des Urteils).
Hinsichtlich der ambulanten Versorgung von selbstzahlenden Patienten ist hingegen von einer vollumfänglichen Geltung der Entscheidung auszugehen.
Praxishinweise:
Die Entscheidung des BGH hat weitreichende Folgen für die Praxis der Abrechnung ärztlicher Leistungen. Ärzte und Träger medizinischer Einrichtungen müssen sicherstellen, dass ärztliche Leistungen stets nach der GOÄ abgerechnet werden. Vereinbarungen über Pauschalhonorare sind unwirksam und können rechtliche Konsequenzen (z.B. Rückzahlungsansprüche) nach sich ziehen.
Für medizinische Einrichtungen ist es daher essenziell, ihre Abrechnungsmodalitäten zu überprüfen und an die Vorgaben der GOÄ anzupassen, um rechtliche Risiken zu vermeiden. Maßgebend für die Anwendbarkeit der GOÄ ist, ob die Vergütung für die beruflichen Leistungen eines Arztes geltend gemacht wird. Zu beachten ist, dass die Entscheidung nicht nur für Universitätskliniken, Plan- und Vertragskrankenhäuser bedeutsam ist, sondern z.B. auch für Privatkliniken nach § 30 GewO. Bei Fragen zu dem Anwendungsbereich der GOÄ bei ambulanten ärztlichen Leistungen juristischer Personen und der Wahrung Ihrer rechtlichen Interessen unterstützen wir Sie gerne.
Vergaberecht:
VK Südbayern, Beschluss vom 8.11.2022 – 3194.Z3 – 3_01-22-6
1. Bei einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit einem Wirtschaftsteilnehmer, das auf § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV gestützt wird, kann in vielen Fällen einzig eine umfassende Analyse bestehender Lösungen den Nachweis erbringen, dass die geforderte Lösung alternativlos i.S.d. § 14 Abs. 6 VgV ist und nicht das Ergebnis einer künstlichen Markteinschränkung durch den Auftraggeber.
2. Eine „Marktanalyse“, bei der der Auftraggeber nur seinem gewünschten Vertragspartner die notwendigen Informationen zur Leistungserbringung zukommen lässt und weiteren Marktteilnehmern die exakten Rahmenbedingungen des Beschaffungsbedarfs nicht mitteilt, ist von vornherein ungeeignet, Alleinstellungsmerkmale i.S.d. § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV i.V.m. § 14 Abs. 6 VgV zu begründen.
Sachverhalt:
Die Auftraggeberin, ein Klinikum, hatte 2019 ein Verfahren zur Neubeschaffung eines Laborsystems europaweit bekannt gemacht. Sie hob das Verfahren jedoch wieder auf. Etwa zwei Jahre später, 2021, führte sie zur Beschaffung einer Labordiagnostik ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit nur einem Unternehmen wegen dessen Alleinstellung nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b), Abs. 6 VgV durch, da aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden sei.
Im Dezember 2021 wurde der Vertrag zwischen dem o.g. Unternehmen – hier der Beigeladenen – und der Auftraggeberin geschlossen, ohne dass die Auftraggeberin zuvor eine Auftragsbekanntmachung im EU-Amtsblatt veröffentlicht hatte. Auch eine öffentliche Bekanntmachung des vergebenen Auftrags erfolgte nicht, sondern stattdessen eine „freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung“. Die Auftraggeberin hatte vor dem Verhandlungsverfahren 2021 eine Markterkundung durchgeführt. Diese Markterkundung erschöpfte sich jedoch im Wesentlichen in einer Unternehmenspräsentation und den Gesprächen der Auftraggeberin mit diesem Anbieter. Der Bestandsauftragnehmer und die an der ursprünglichen Ausschreibung aus 2019 beteiligten Unternehmen durften ihre Laborgeräte zwar auch der Auftraggeberin präsentieren. Im Gegensatz zum gewünschten Vertragspartner erhielten sie jedoch keine Informationen über die baulichen Vorgaben an das Laborsystem. Schließlich kam die Auftraggeberin nach der Markterkundung zu dem Ergebnis, dass lediglich die Labordiagnostik des späteren Vertragspartners ohne Umbauarbeiten in die vorhandenen Räumlichkeiten passe. Auf Grundlage dieser Markterkundung wählte die Auftraggeberin das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit einem einzigen Unternehmen, wobei die Gründe für die Wahl des Verfahrens nur in den Terminsberichten zu den Präsentationen zu finden waren, nicht jedoch in dem Vergabevermerk. In dem Vergabevermerk legte die Auftraggeberin lediglich dar, dass die Laborstraße in jedem Fall ohne bauliche Anpassungen in die vorhandenen Räumlichkeiten eingebracht werden müsse. Umbauarbeiten seien wegen eines Astbestvorkommens mit sehr hohen Folgeinvestitionen verbunden und kämen daher nicht in Frage. In den Terminsberichten führte die Auftraggeberin aus, dass einzig die platzsparende Laborstraße der vollständig über die Leistungsbeschreibung informierten Beigeladenen ohne Umbauarbeiten in die vorgesehenen Räume passe. Nachdem die Auftraggeberin den Auftrag an die Beigeladene vergeben hatte, erfolgte eine Rüge des Anbieters A. Nach ausgebliebener Reaktion hierauf beantragte A die Nachprüfung.
Entscheidung:
Diese Nachprüfung hatte Erfolg! Der Vertrag ist nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam, da der zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geschlossene Vertrag bereits von Gesetzes wegen gemäß § 134 BGB nichtig ist.
Auftraggeber dürfen nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b), Abs. 6 VgV einen Auftrag im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb „direkt“ an ein bestimmtes Unternehmen vergeben, wenn aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist. Zulässig ist dieses Verfahren nur dann, wenn keine vernünftigen Alternativen oder Ersatzlösungen bestehen und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist. Die Vergabekammer führt aus, dass das Vorliegen eines Alleinstellungsmerkmals von den Anforderungen an die Leistung abhänge und daher dem Leistungsbestimmungsrecht der Auftraggeberin unterfalle. Die Auftraggeberin bewege sich dabei nach ständiger Rechtsprechung in den Grenzen ihres Leistungsbestimmungsrechts, wenn die Bestimmung des Auftragsgegenstands sachlich gerechtfertigt bzw. entsprechend dokumentiert sei und andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiere. Nach diesem Maßstab genügten die baulichen Vorgaben diesen Anforderungen Ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit nur einem Unternehmen aufgrund eines technischen Alleinstellungsmerkmals nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b), Abs. 6 VgV sei allerdings trotzdem nur zulässig, wenn der Auftrag dann auch tatsächlich aus technischen Gründen ausschließlich von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden könne.
Der öffentliche Auftraggeber habe das objektive Fehlen von Wettbewerb darzulegen und zu beweisen. Hierbei seien stichhaltige Belege beizubringen, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen ergebe. Die Gründe für die Wahl des Verfahrens seien ordnungsgemäß und sorgfältig sowie vor allem nachvollziehbar vom öffentlichen Auftraggeber zu dokumentieren (EuGH, Urteil vom 15.10.2009, C-275/08; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2013, VII-Verg 24/13).
Ob die baulichen Vorgaben der Auftraggeberin zu einer Alleinstellung führen, ließe sich jedoch mangels einer ordnungsgemäßen Herleitung des Alleinstellungsmerkmals nicht prüfen. Die Erkenntnisse aus der Markterkundung seien hierfür nicht ausreichend. Möchte sich der Auftraggeber zur Rechtfertigung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb auf die aus einer Markterkundung gewonnen Erkenntnisse berufen, müsse er dafür alle an der Markterkundung beteiligten Unternehmen über die konkreten Anforderungen informieren. Nur so könnten die Unternehmen ihre präsentierten Lösungen auf die konkreten Bedürfnisse zuschneiden und der Auftraggeber könne analysieren, ob tatsächlich eine Alleinstellung bestehe. Die Auftraggeberin habe hier die Pflicht gehabt, den im Rahmen der Markterkundung beteiligten Unternehmen die konkreten Anforderungen an das zu konzipierende Laborsystem offenzulegen.
Offengelassen hat die Vergabekammer die Frage, ob eine Markterkundung zwingend ist, um ein technisches Alleinstellungsmerkmal im Sinne von § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV annehmen zu dürfen. Sie verweist darauf, dass nach § 14 Abs. 6 VgV jedenfalls einzig eine umfassende Analyse bestehender Lösungen den Nachweis erbringen könne, dass die geforderte Lösung alternativlos und nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung durch den Auftraggeber sei.
Aus prozessualer Sicht hat die Vergabekammer außerdem betont, dass sich die Nachprüfungsanträge durch den Einbau der Laborgeräte nicht nach § 168 Abs. 2 S. 2 GWB erledigt hätten. Mit dem Rückbau der Laborgeräte ließe sich der Vertrag ohne Schwierigkeiten rückabwickeln. Den Auftraggeber treffe aber bei fortbestehender Beschaffungsabsicht gleichwohl keine Plicht, ein wettbewerbliches Verfahren durchzuführen. Er dürfe insbesondere nochmals eine Markterkundung durchführen, um beurteilen zu können, ob tatsächlich eine Alleinstellung vorliege.
Praxishinweis
Wenn Auftraggeber einen Auftrag im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb wegen eines technischen Alleinstellungsmerkmals vergeben möchten, sollte Folgendes beachtet werden:
• Nach § 14 Abs. 6 VgV ist stets eine umfassende Analyse bestehender Lösungen erforderlich. Nur eine solche Analyse vermag den Nachweis zu erbringen, dass die geforderte Lösung alternativlos und nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung durch den Auftraggeber ist.
• Unbedingt müssen Auftraggeber sorgfältig die Umstände dokumentieren, die die Annahme rechtfertigen, dass wirklich nur ein einziges Unternehmen die benötigten Leistungen anforderungsgemäß erbringen kann.
• Die Frage, ob ein Auftrag - wie hier aufgrund eines technischen Alleinstellungsmerkmals - nur von einem bestimmten Unternehmen ausgeführt werden kann, hängt von der Definition des Auftragsgegenstandes durch den Auftraggeber ab. Dabei kann es je nach dessen Ausgestaltung durchaus zu der vergaberechtskonformen Folge kommen, dass aufgrund bestimmter Merkmale nur ein Unternehmen in der Lage ist, den Auftrag zu erfüllen, sofern der Auftraggeber die ihm zustehende und dem Vergabeverfahren grundsätzlich vorgelagerte Bestimmungsfreiheit, ob und was beschafft werden soll, sachgerecht ausgeübt hat. Die vergaberechtlichen Anforderungen an die Definition des Beschaffungsbedarfs sind nach ständiger Rechtsprechung gewahrt, sofern die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist, vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden. Die Vergabekammer Südbayern sieht jedenfalls in der Festlegung der verfügbaren Räumlichkeiten sowie der Festlegung, dass Umbauarbeiten aufgrund der Asbestsanierung des gesamten Klinikgebäudes zwingend zu vermeiden sind, da ansonsten aufwendige Sanierungsarbeiten drohen, die im laufenden Betrieb nicht möglich sind und deren Kosten nicht refinanzierbar sind, eine zulässige Ausübung des der Antragsgegnerin zustehenden Leistungsbestimmungsrechts.
Ihre Ansprechpartner
Carola Hollnack
Geschäftsführende Gesellschafterin
Rechtsanwältin
Fon: +49 (0) 6131 - 2 04 78 - 97
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Linda Egler
Geschäftsführerin
Rechtsanwältin
Fon: +49 (0) 681 8 91 97 - 46
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